Im
Lande Farunka lebte einmal eine schöne Königin namens Calluna. Ihr
Hofstaat war prächtig und die Bewohner ihres Reiches litten niemals
Hunger. Calluna sorgte für die Ihren wie eine treuherzige Mutter.
Deshalb arbeitete Ihr Volk mit Freude und mehrte die Reichtümer des
Landes ohne Reue. Eines Tages aber schlich sich die böse Hexe
Babijar in Callunas Hofstaat und versuchte die Königin und ihr
Gefolge mit düsteren Gedanken zu vergiften. Sie säte Zwietracht
unter das Volk, bis ein Bewohner auf den Anderen neidisch war und
Calluna zusehends an Ansehen verlor. Obwohl die Hexe sich gut
verbarg, bemerkte die Königin ihr Ansinnen und jagte sie aus dem
Lande.
Das
Volk tuschelte, als Babijar von Wachen gefesselt vor Calluna treten
musste. Die Hexe fing an zu wimmern wie eine Gefolterte. Sie zeigte
sich von ihrer schönsten Seite, so dass die Männer mit ihren
Blicken vor der Königin für sie um Gnade winselten. Calluna aber
ließ sich nicht täuschen, erhob ihr Zepter und verwies das dunkle
Wesen mit donnernden Worten aus ihrem Reich. Vor den Augen des Volkes
verwandelte sich Babijar in ein Monstrum: Ihre weißen Zähne färbten
sich gelb, ihre Haut spannte sich wie Pergament über ihren Schädel
und auf ihrer Nase wuchsen gelbgrüne Warzen, aus denen dicke
schwarze Haare sprossen. Als das Volk das wahre Wesen der Hexe
erkannte, wich es zurück und fiel vor dem Monstrum auf die Knie.
Indes verwandelten sich die Fesseln der Hexe in einen knorrigen
Zauberstab, den Babijar in kreisenden Bewegungen um ihr Haupt
schwang. Dabei sprach sie düstere Flüche, in einer Sprache, die
keiner aus dem Hofstaat jemals gehört hatte. Blaugrauer Nebel
umschwebte die Szene und Calluna erstarrte vor den Augen ihres Volkes
zu einer gefrorenen Statue. Danach griff die Kälte um sich und
begrub das ganze Land unter einer dicken Eisschicht. An den Grenzen
herrschte Frühling, doch das Land Farunka erstarrte.
Zufrieden
packte die Hexe ihren Zauberstab in eine Ledertasche und marschierte
gebückt in Richtung Süden, neuen Verwünschungen entgegen. Sie
wusste, ihr Fluch würde nicht ewig halten, denn die Mächte der
Liebe vermochten jeden Fluch zu lösen. Als Hinweis hatte sie ein
einziges Blatt Pergament im Schloss der Königin hinterlassen, das
nicht von Eis überzogen war. Nicht weil sie das wollte, sondern weil
es zu den Hexenregeln zählte, das jeder Fluch umkehrbar sein musste.
Das Blatt schwebte vor dem Antlitz der Königin, während sich um
Calluna ein Kreis aus Eiszapfen gebildet hatte, der rundherum wie
mächtige Stalagmiten in die Höhe ragte. Der Kreis hatte keine
Bedeutung, aber Babijar wusste, dass die Menschen ihm eine Bedeutung
zuschreiben würden. So hoffte sie, dass ihr Fluch für mehr als
tausend Jahre hielt und er die Mächte der Liebe eindämmte. Das
Blatt mit dem Hinweis aber besagte:
Calluna,
Königin aus Eis
In
Kälte sollst du ruhen.
Nur
wahrlich kühner Dichterfleiß
Vermag
dich zu beschuhen.
Ein
schöner Vers durchbricht den Fluch
und
du erwachst zum Leben.
Dann
schmilzt das Eis, dann wird das Tuch
Der
Kälte bald entschweben.
Nachdem Babijar
das Land Farunka verlassen hatte, sprach es sich in den
Nachbarländern schnell herum, dass die Königin Calluna mitsamt
ihrem Hofstaat und ihrem Königreich vereist worden war. Viele
Neugierige pilgerten an die Grenzen und besahen sich das Wunderland.
Weil das aber so Furcht einflößend war, dauerte es mehr als fünfzig
Jahre bis erstmals ein Neugieriger wagte, das Eis von Farunka zu
betreten und in Richtung Schloss zu marschieren. Danach verbreitete
sich die Kunde von dem geheimnisvollen Versblatt über alle Welt und
die Dichter pilgerten in Heerscharen vor Calluna, um vor ihr ihre
zauberhaftesten Verse zu rezitieren. Weil die Königin auch unter
ihrer Eisschicht noch vor Schönheit strahlte, dachte mancher von
ihnen, er könne den Fluch allein deshalb brechen, weil er die
Königin schön fand. Aber so leicht hatte es Babijar den Dichtern
nicht gemacht. Denn tatsächlich ließ sich der Fluch nur durch
reine, aufrechte Liebe brechen, die unter dem Eise kaum erlernbar
war. Die Königin war ja eingefroren und so war es ihr versagt, etwas
über ihr Inneres zu verraten. Deshalb war nur derjenige imstande,
das Eis zu schmelzen, der allein aus ihrer letzten Geste, auf ihre
gesamte Persönlichkeit schließen konnte. So gingen und kamen die
Dichter und gaben sich am Schlossportal die Klinke in die Hand. Die
Jahre verstrichen und das Interesse an Calluna und ihrem Königreich
verblasste wie ein Trugbild aus längst vergangenen Tagen. Kein
Mensch schien sich noch an die Königin erinnern zu wollen; und keine
Dichterseele wollte sich weiter um sie bemühen.
Beinahe
200 Jahre strichen so ins Land, bis ein aufrechter Poet von dem
Rätsel um Calluna las und sich aufmachte, vor ihren Thron zu treten.
Der Dichter hieß Cleophas und stammte aus ärmlichen Verhältnissen.
Er war kein wirklicher Dichter, denn er hatte in seinem Leben kaum
ein Wort geschrieben. Seit seinen frühen Kindertagen wusste er aber,
dass er eines Tages schreiben und damit die Welt verändern würde:
Wenn nicht die große Welt, dann doch wenigstens die Seine. So zog er
los und machte sich auf, das Königreich Farunka zu erkunden. Bald
stand er vor dem Schlossportal, das so viele seiner Vorgänger voller
Hoffnung betreten hatten. Er erklomm die Stufen zum Vorhof, als sich
die Tore ins Innere des Schlosses wie von Geisterhand öffneten.
Cleophas hielt sich eine Hand vor die Augen und blickte beklommen zu
den Schlosstürmen empor. Die Sonne blendete ihn und ließ das
Bauwerk wie eine bedrohliche Kulisse erscheinen. Aber als Cleophas so
da stand, meinte er aus dem Inneren des Bauwerks eine helle Stimme zu
vernehmen, die ihn mit einer sanften Melodie in den Thronsaal lockte.
Sie sang das wundervolle Lied der Liebe. Das Lied der Liebe, die
jenen Dichter treffen würde, der vor Königin Calluna die rechten
Worte fand. Cleophas betrat also zögernd das Schloss und ließ sich
von der Stimme durch eine prachtvoll vereiste Welt führen. Ein
fahles Hellblau beherrschte die Szene, während unter der Eisschicht
goldene und silberne Kunstwerke funkelten. Auch das erstarrte Volk
wirkte auf Cleophas wie ein Kunstwerk. Doch jenes Kunstwerk war
stumpf und grau und schien den Atem des Todes zu verströmen.
Nach
einer knappen Stunde des Staunens und Lauschens fand sich Cleophas
vor der vereisten Königin Calluna wieder. Sie stand immer noch so im
Thronsaal, wie sie über Jahrhunderte dort gestanden hatte. Und um
sie fand sich derselbe stalagmitenartige Eisring, den die Hexe
Babijar seinerzeit hatte wachsen lassen. Cleophas ging mehrmals im
Kreise und besah sich die gefrorene Königin von allen Seiten. Sie
trug kurzes, lockiges Haar mit goldenen Strähnchen, das wild in alle
Richtungen stand. Ihr eingefrorener Blick schien eine Mischung aus
Zorn und Überraschung zu zeigen; doch wenn man genauer hinsah auch
eine Spur von Erleichterung. Cleophas besah sich die Königin und
blickte ihr tief in ihre grünlich schimmernden Augen. Obwohl sie
scheinbar ins Leere starrte, meinte der Dichter, tief in ihre Seele
zu blicken und er spürte etwas von dem Glanz, der die Königin
einstmals ausgemacht hatte. So entnahm er aus seinem Rucksack ein
Stück Pergament, Feder und Tinte und schrieb der Königin zunächst
ein mystisches Besinnungsgedicht. Er hieß „Meister der Verse“
und sollte Cleophas der Königin vorstellen. Denn Calluna war zwar
vereist, aber der Dichter spürte das Leben in ihr und wünschte sich
nichts mehr als ein bisschen von ihrer Aufmerksamkeit. Deshalb trat
er vor den Eisring und gab das Gedicht Wort für Wort wieder, in
einer Betonung, die er sich zuvor nicht zugetraut hätte. Mit Hingabe
und voller Zuneigung las er die wenigen Zeilen. Dabei beobachtete er
jeden Zoll der gefrorenen Statue als warte er auf eine bestimmte
Reaktion. Still und stumm verharrte die Königin auf der Stelle und
die Worte schienen im Thronsaal bedeutungslos zu verhallen. Cleophas
wollte sich schon traurig von der Königin abwenden, da gewahrte er
plötzlich an ihrem linken Auge ein Funkeln. Er beugte sich über den
Eisring, um dem Phänomen möglichst nahe zu kommen. Hatte sich da
ein Wassertropfen aus der Kälte gelöst? Sah er das richtig? Oder
hatte er den Tropfen vielleicht vorher übersehen? Tatsächlich, das
Eis begann zu schmelzen und der Tropfen rann über die Statue hinweg
auf den Mosaikboden. Und als der Wassertropfen den Boden berührte,
verdunstete er auf den winzigen Steinchen.
Ungläubig
wischte sich der Dichter eine Haarsträhne aus der Stirn und dachte
nach. Sollte er tatsächlich derjenige sein, der das Herz der Königin
erweichen und sie aus ihrer Gefangenschaft befreien konnte. Er wollte
sich das gar nicht vorstellen. Was für ihn zuvor nur ein verrückter
Traum gewesen war, drohte gerade Realität zu werden. Damit hatte
Cleophas nicht gerechnet. Darum eilte er aus dem Thronsaal und
verkroch sich in ein einsames Turmzimmer. Er wollte mit sich und
seinen Gedanken allein sein, um eine Entscheidung über seine
weiteren Schritte zu treffen. An seinem Zufluchtsort stand ein
gefrorener Tisch, unter dessen Eismantel ein Stapel Pergament, ein
Tintenfass und mehrere Schreibfedern lagen. Cleophas setzte sich
davor und strich mit seinen Händen über die Eisfläche. Dabei
merkte er, wie eine seltsame Energie von ihm ausging, die seine
Finger zum Fluoreszieren brachte. Da verharrte er über der
Tischplatte und sah, wie sich das gleißende Leuchten nach und nach
über ihre ganze Fläche zog. Mit einem Mal löste sich das Eis auf
und gab das Pergamentpapier und die Schreibutensilien frei. Das
gefiel dem Dichter gut, und er traf seine Entscheidung: Er wollte
Königin Calluna nun unter allen Umständen befreien, denn ein
solches Zeichen hatte wohl noch keinen seiner Vorgänger jemals
berührt. Jedenfalls hatte er nie etwas darüber gelesen. Was folgte,
war eine Zeit der Mühe und des Schweißes.
Tag
für Tag dichtete Cleophas nun für seine anmutige Königin, Tag für
Tag beobachtete er sie; und Tag für Tag versuchte er bei seinen
Runden um den Eiskreis in ihr Innerstes zu blicken. Dabei wurde er
mit ihrer Persönlichkeit immer vertrauter und führte in Gedanken
Zwiegespräche mit ihr. Er war sich zwar nie ganz sicher, ob er sich
das alles einbildete. Aber er meinte zu spüren, wie er zunehmend in
ihren Bann gezogen wurde und sich ihm die Seele der Königin mehr und
mehr erschloss. Mit jedem seiner Gedichte brachte er das Eis zum
Schmelzen. Das freute Cleophas und motivierte ihn zu immer größeren
dichterischen Taten. Doch manchmal froren über Nacht neue
Eisschichten über das Antlitz der Königin, welche die Mühe von
Wochen in wenigen Stunden zunichte machten. Cleophas verzweifelte
über diesen Umstand und der Strom seiner Worte begann zunehmend zu
versiegen. Schließlich fragte er sich, ob sein Leben ohne Calluna
nicht besser gewesen war als mit ihr. Denn bevor er sich in das Land
Farunka begeben hatte, war sein Leben wie eine klare Linie verlaufen,
während er jetzt ungehalten von Hoch zu Tief pendelte.
In
all den Tagen, in all den Stunden, die er mit der gefrorenen Statue
verbracht hatte, war Cleophas nie die Idee gekommen, den Eiskreis zu
überwinden, den Babijar bei ihrem Fluch gezogen hatte. Nun aber, da
seine Verzweiflung bis ins Unermessliche wuchs, verlor er nach und
nach den Respekt und konnte sich die Grenzüberschreitung vorstellen.
So entschied er sich in einer dunklen Winternacht, ein letztes
Gedicht zu verfassen und mit seiner geliebten Königin im Eiskreis zu
verschmelzen. Denn der Tod war ihm inzwischen egal geworden, so
sehr, wie er sich nach seiner Königin sehnte. Er setzte sich an den
Schreibtisch im Turmzimmer, um seine Sinne für einen letzten
dichterischen Akt zu sammeln. Dann blickte er tief in sein Inneres
und überlegte sich, was er Calluna unbedingt noch sagen musste. Sein
nächstes Gedicht musste einfach den richtigen Ton treffen, sonst
würde er verzweifeln. Doch er fand keine Worte mehr, weder richtige
noch falsche, weil alles, was er bislang gesagt hatte, ohne Wirkung
in den Tiefen des Schlosses verhallt und an Calluna abgeprallt war.
In seiner Verzweiflung legte Cleophas den Kopf auf den Schreibtisch
und weinte. Plötzlich übermannte ihn tiefer Schlaf und er träumte
davon, der schönen Calluna von Angesicht zu Angesicht zu begegnen.
Im Traum sang sie ihm ein wundervolles Lied, während er ihr
schwebend in die Lüfte folgte. Das war für Cleophas das Zeichen,
dass seine Zeit nun gekommen war und er den Eiskreis würde
überwinden müssen. Als er am nächsten Morgen erwachte, war ihm,
als hätte er einen Fiebertraum durchlebt. Und als er auf den
Schreibtisch blickte, sah er, dass er seinen Traum bereits in Worte
gefasst hatte. Verwirrt hielt er sich die Hände vor Augen. An Daumen
und Zeigefinger seiner rechten Hand fand er die typischen
Tintenkleckse, die ihm jedes Mal als Erinnerung blieben, wenn er
etwas geschrieben hatte. Und auf dem Schreibtisch lag ein Pergament
mit einem wundervollen Gedicht:
Worte
an Calluna
Ich
hab’ dich heute Nacht getroffen,
im
Traum stand deine Türe offen –
Du
hast für mich gesungen.
Ein
heller Glanz in deinen Augen
schien
mir meinen Verstand zu rauben,
so
liebevoll gelungen.
Du
nahmst uns Zeit aus einer Flasche
und
streutest sie wie Zanderasche
auf
unsern Pfad zur Liebe.
Du
sangst mit deiner Engelsstimme,
wir
wähnten uns im siebten Himmel
wie
unteilbar Verliebte.
Wir
gingen Hand in Hand durchs Leben,
ich
sah uns durch die Lüfte schweben,
von
Zeit und Raum durchdrungen.
Wir
wollten beieinander stehen,
wie
Winde durch die Wolken wehen,
das
hat die Lust bedungen.
Ich
hab dich heute Nacht getroffen,
im
Traum stand deine Türe offen,
du
warst an meiner Seite.
Ich
wollt dir manche Küsse stehlen,
mich
nicht mehr mit der Sehnsucht quälen,
die
all mein Sein befreite.
Cleophas
las das Gedicht mehrere Male durch, weil er sich nicht daran erinnern
konnte, es geschrieben zu haben. Er war verwirrt über sein Tun und
fragte sich, ob er an seinem ursprünglichen Plan festhalten sollte.
War es wirklich vernünftig durch den Eiskreis zu treten? Oder sollte
er einfach davon ziehen, ohne einen weiteren Gedanken an seine
geliebte Königin zu verschwenden? Würde ihm das überhaupt
gelingen?
Solche
Gedanken tragend, ging er ohne Ziel durchs Schloss und ließ die
Bilder auf sich wirken. Die vereisten Wände formten monumentale
Kunstwerke, als seien sie aus Bergkristall gemeißelt worden.
Prachtvolle Gemälde wirkten unter dem Eis wie Pastellzeichnungen
eines modernen Künstlers. Das Eis verzerrte seine Gedanken, spaltete
hier und da das Licht in Spektralfarben auf und erschuf eine Art
Orgelpunkt, über dem sich die verschiedenen Bilder – trotz ihrer
Starre – abzuspielen schienen. Auf seinem Weg stieß er auf
eingefrorene Ritter, Dienerinnen, die beim Fegen der Mosaikböden
erstarrt waren, eine Gruppe Kinder, deren Spiel im Hausflur einen
jähen Stillstand erfuhr und auf Pflanztröge mit exotischen
Pflanzen, deren Blätter noch genauso frischgrün durch das Eis
funkelten, wie sie das vor Babijars Fluch schon getan hatten.
Cleophas wollte unbedingt Teil dieser Welt werden, die ihm in den
letzten Wochen und Monaten so ans Herz gewachsen war. An die
gespenstische Stille hatte er sich zwischenzeitlich ebenso gewöhnt
wie an die Kälte, die von Calluna und den ihren ausging. Kein
Zweifel, er liebte seine Königin und musste ihr das letzte Gedicht
einfach vortragen. Dann würde er so, wie er es geplant hatte durch
den Stalagmitenkreis treten und selber teil jener gespenstischen
Kulisse werden, die ihm auf ihre Art reizvoll und anmutig erschien.
So trat er vor den Thron der Königin, machte seine übliche Runde
und rezitierte das Gedicht, wie er das schon oft getan hatte. Seine
Stimme klang klar und gefasst und gab die Worte mit einer Betonung
wieder, die ganz genau zum Inhalt des Gedichts passte.
Nachdem er das
letzte Wort gesprochen hatte, verharrte er still vor dem Thron, in
gespannter Erwartung, was geschehen würde. Wie üblich schienen die
Worte in den Korridoren und Tiefen des Schlosses zu verhallen wie das
Plätschern eines stillen Bächchens im Walde. Doch als Cleophas
diesen Gedanken auffing, gewahrte er plötzlich, dass tatsächlich
Geräusche von fließendem Wasser zu hören waren, die an die
Geräusche eines Rinnsals an einer Felswand erinnerten. Er richtete
seine Aufmerksamkeit auf die Königin und sah, wie Wasser über den
Eisschild der Statue floss und nach und nach das Gesicht seiner
schönen Calluna freigab. In froher Erwartung blieb er auf der Stelle
stehen, um abzuwarten bis alles Eis geschmolzen war. Doch als der
Frost vom Gesicht der Königin geschmolzen war, kehrte im Schloss
wieder absolute Stille ein und die Kälte streichelte mit ihren
eisigen Händen über alle Schlupfwinkel des Gebäudes, um sie erneut
unter ihrem Atem erstarren zu lassen. Da packte Cleophas die Wut und
er rannte zornig gegen den Eiskreis und begann, mit seinen Schuhen
gegen die stalagmitenartigen Zapfen zu treten. Das Eis splitterte und
breitete sich als kristalliner Teppich über dem Mosaikboden aus.
Nach und nach schlug er sich so einen Durchgang durch den Eiskreis,
trat mit festen Schritten vor seine Königin und schaute ihr mit
einem festen Blick in ihre grünen Augen. Ein Augenblick der Stille
entstand und verging, in dem Cleophas klar wurde, dass er den Bann
des Eiskreises offenbar ohne Schaden gebrochen hatte. Schon bemerkte
er, wie sich wieder einzelne Kristalle über Callunas Augen legten,
die ihn nun sehnsuchtsvoll anzuschauen schienen und ihm das
Innenleben der Königin in voller Breite offenbarten. Da trat der
Poet ohne weiter nachzudenken einen Schritt näher, und berührte sie
mit seinen Lippen an den ihren, als wollte er sie küssen.
Erst
fühlte sich Calluna kalt wie ein Eiswürfel an. Dann strömte
plötzlich Wärme durch ihren Körper und ihre Lippen wurden
geschmeidig und fühlten sich lebendig an, als wäre die Königin nie
zu einer Statue erstarrt gewesen. Blauer Dunst legte sich über die
Szene, sammelte sich zu Schwaden und strömte wie eine Nebelbank im
Morgengrauen aus dem Schloss ins Freie. Alles Eis schmolz dahin, die
Königin erwachte, vereinigte sich mit Cleophas in einem
leidenschaftlichen Kuss und das Land Farunka wurde samt seinen
Bewohnern von der Eisdecke befreit, die Babijar einst als Fluch
entfacht hatte. Was aus Cleophas und Calluna wurde, ist dem
Chronisten nicht bekannt. Aber wahrscheinlich lebten sie glücklich
und zufrieden als Paar und heirateten sich.
…und
wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…
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